Verschwundene Dinge

Eine Online-Ausstellung von Dr. Stephan Bachter (Stadtmuseum Unterschleißheim) und Dr. Andreas Garitz (Rekord Café Augsburg)

Mehr zum Thema

Zur Ausstellungseröffnung
Comics

Highlight Nr.1: Bessy Hefte

Bessy-Hefte, 1965-1985, Bastei Lübbe, Willy Vandersteen, Karel Verschuere und Klaus Dill

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Kassettenrekorder

Highlight Nr.2: Philips Cassettophone

Kassettenrekorder samt Zubehör im 70er Jahre Design, Philips (NL)

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Heimkino

Highlight Nr.3: Agfa Movector, 16mm Projektor

16mm Filmprojektor der Firma Agfa, 30er Jahre.

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Heimcomputer

Highlight Nr.4: Commodore C16

Commodore C16, 1984-1992, Lerncomputer der Firma Commodore

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Spielecomputer

Highlight Nr.5: Schachcomputer Mephisto

Schachcomputer Mephisto  der Firma Hegener&Glaser AG München, Anfang der 1990er Jahre

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Wir vermitteln zwischen den Zeiten, den Generationen und den technischen Welten gestern und heute

von Stephan Bachter und Andreas Garitz

In diesen Tagen, an denen wir an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa am 8. Mai 1945 erinnern, verschwindet unsere Welt, die damals, vor 75 Jahren, ihren Anfang genommen hat. Eine Welt, die wir für selbstverständlich gehalten hatten, von der aber die Älteren unter uns noch wissen, dass auch sie sich entwickelt hat, von der harten körperlichen Arbeit zu einer maschinen- und computergestützten Tätigkeit, von der Not zum Wohlstand, von den Restriktionen der Besatzungszeit zu den Freiheiten einer offenen, freien, westlichen Demokratie. Wir, die Babyboomer der 1950er und 1960er Jahren, wissen von der Anfangszeit der nun untergehenden Epoche nur aus Erzählungen. Unsere Welt wurde nur stets immer bunter, freier und vielfältiger, etwa was die Lebensstile und Partnerschaftsmodelle, die Mode, Ernährung oder unsere Reiseziele anbelangte. Nur die wenigen ganz Alten, vor 1945 Geborenen wissen noch aus eigener Erfahrung von Weltwirtschaftskrisen, Kriegen, menschenvernichtender Diktatur und dem Bombenhagel auf die von ihnen bewohnten Städte.

Als das Ausstellungsthema vor rund 18 Monaten Jahren festgelegt wurde, rechnete niemand damit, unter welchen Umständen das Thema gezeigt werden würde. Während eine vertraute Welt verschwindet, zeigen wir in unserer online Ausstellung „Verschwundene Dinge“. Es ist größtenteils Artefakte aus diesen letzten 75 Jahren. Allerdings sind es Dinge, die schon während des zurückliegenden Dreivierteljahrhunderts nicht ununterbrochen präsent waren. Wer zu den jungen und jugendlichen Mitbürgern unserer Gesellschaft Welt gehört, zu den um das Jahr 2000 Geboren, wird vieles von dem, was wir zeigen, aus eigener Anschauung oder Erfahrung, aus eigenem Erlebnis nicht mehr kennen.

Wir sind umgeben von Dingen. Sie erleichtern uns den Alltag, erfreuen uns optisch, technisch und spielerisch, machen Kommunikation möglich, helfen uns bei der Arbeit, verschönern unsere Wohnung und sorgen für unser Wohlbefinden. Wir nutzen sie täglich, ohne uns große Gedanken darüber zu machen. Sie sind einfach da. Ganz so, als ob sie selbstverständlich seien und schon immer da gewesen wären. Nun aber lernen wir: nichts ist selbstverständlich. Nicht die Welt, die wir für „normal“ gehalten hatten und auch nicht die Dinge, die es in dieser Welt gibt und gegeben hat. Auch diese Dinge haben ihre Geschichte, Veränderungen und Brüche. Es gab Vorläufer, Vorgängermodelle und Varianten. Bevor sie modern und bekannt wurden, gab es für das, was sie machten und wofür sie da waren, andere Ideen und technische Lösungen. Manches wurde vor langer Zeit schon erfunden und erlebte seitdem tausend Transformationen, anderes wurde nach einiger Zeit von neueren und besseren Dingen abgelöst, wieder anderes erwies sich gleich als Flop und wurde nie weitergeführt. So mancher Dauerbrenner hat uns bis heute begleitet und so mancher Irrläufer verschwand für immer im Sonder- und Elektromüll der Geschichte.

Unveränderlich waren Dinge nie, es wurde vereinfacht und optimiert, ausgebaut und erweitert, neu erfunden und konstruiert, neu berechnet und dimensioniert, behauen, verschönert und umgekrempelt, ständig verlangten der Modegeschmack und der technische Stand der Zeit, die äußeren Formen und das Innenleben zu novellieren. Was nicht mehr en vogue war oder sich als überholt erwies, verschwand aus dem Alltag und damit auch aus unserer Erinnerung.

 

Doch Dinge sind eben nicht nur leblose Materie, sondern sie sind uns wohlvertraut und haben unser Alltagsleben prägend begleitet. Der erste Kassettenrekorder hat uns dabei geholfen, an der Popmusik teilzuhaben und uns unsere ganz persönliche Sammlung an Musik anzulegen. Unser erstes Moped hat uns neue Welten erschlossen und den Weg in die Disco finden lassen, die erste Mode- oder Musikzeitschrift hat uns beigebracht, mit der Zeit zu gehen und Bescheid zu wissen über das was "in" ist, wo man hingeht und wie das andere Geschlecht so funktioniert. Bis heute lieben wir unseren ersten Teddy, erinnern uns an die erste Armbanduhr, die wir zur Kommunion bekamen, schwärmen von unserem knallorangen Opel Kadett aus der Hippiezeit und huldigen unserem alten C64 aus den frühen 80ern.

Zu vielen Dingen hatten wir eine ganz besondere Beziehung und selbst wenn wir sie mittlerweile völlig vergessen haben, so lösen sie doch noch immer emotionale Reaktionen aus, wenn wir sie plötzlich irgendwo wiedersehen. Das ist nicht nur Nostalgie und rückwärtsgewandtes Retrodenken, sondern mit einer umfänglichen Erinnerung daran verbunden, wer wir früher einmal waren und was wir erlebt haben. Mit der Erinnerung an das Ding kommt die Erinnerung an uns selbst und an die Stationen unseres Lebens.

Umso wichtiger erscheint es, diese Dinge, das was sie ausmachte und was sie für uns bedeuteten zu dokumentieren und der Nachwelt zu erhalten. Das verlangt danach, sie nicht nur rein haptisch, optisch, technisch und zeitlich zu erfassen, sondern ihr ganzes Umfeld zu durchleuchten und auch die persönlichen Geschichten zu erzählen, die sich mit ihnen verbanden. Es ist wichtig, wie sie den Alltag vieler Menschen prägten, wie sie ihnen halfen, wie, wo und wann sie benutzt wurden, was an ihnen neu, gut und brauchbar war und welche Mängel sie manchmal hatten, über die wir heute schmunzeln.

Welten, Kulturen und Lebensstile verschwinden. Was davon bleibt, sind, die Dinge. Dinge verabschieden sich nämlich nur aus dem Alltag und dem Gebrauch, aber sie bleiben da, in Kisten, Kellern und auf Dachböden, in verborgenen Winkeln unter der Erde. Und in Museumsdepots!

In diesem Sinne: lasst uns die Dinge sammeln und mit ihnen die Geschichten, die zu ihnen gehören! Lasst uns die Dinge sammeln! In ihnen bleiben Welten, auch die, die gerade verschwindet, erhalten!

Das gehört in ein Museum

Indiana Jones

 

 

 

© Stadtmuseum Unterschleissheim und Rekordcafe Augsburg
Alle Fotos und Texte sind urheberrechtlich geschützt

Ausgewählte Highlights

Bessy Comic

Lesestoff für Pennäler

Kassettenrekorder Philips

Die erste eigene Musik auf Band

View Master

3D-Welten im Kinderzimmer

 

Mehr Dinge finden Sie unter "Die Themen"

Verschwundene Dinge

Grußwort Dr. Stephan Bachter

Am 29. April 2020 um 19 Uhr sollte im Rathausfoyer von Unterschleißheim die diesjährige Sonderausstellung des Stadtmuseums eröffnet werden. Mit „Von Henkelmännern, Wäschestampfern, und Musikkassetten. Sachgeschichten von verschwundenen Dingen“ hatten wir diese Schau angekündigt. Der Titel enthält ein irritierendes Paradox. Wie kann etwas ausgestellt werden, das verschwunden ist? Entweder, oder? Nun ist es geradezu die eigentliche Aufgabe von Museumsleuten, Hüter verschwundener Dinge zu sein und sie zu bewahren, zu erforschen, sie zu restaurieren, sie zu erklären und der Öffentlichkeit zu zeigen. Denn das sollte klar sein: die Dinge verschwinden nur aus der Öffentlichkeit, sie verschwinden aus dem alltäglichen Gebrauch, aber sie verschwinden (von wenigen Ausnahmen wie der Bundeslade oder dem Heiligen Gral einmal abgesehen) niemals ganz. Unsere Museumsdepots sind voll von verschwundenen Dingen!

Es ist der Corona-Pandemie geschuldet, dass unsere Sonderausstellung über verschwundene Dinge nun selbst aus der Öffentlichkeit verschwunden ist. Mehr noch: sie musste aus ihr verschwinden, denn unsere Sonderausstellungen sind immer auch eine Attraktion, also ein Anziehungspunkt, um das Unterschleißheimer Rathaus zu besuchen. Das braucht es aber in Zeiten eines grassierenden Virus nicht. Das Rathaus ist für den Publikumsverkehr geschlossen.

Allerdings haben wir Museumsmenschen auch in Krisenzeiten das Bedürfnis zu zeigen, was wir haben und damit Unterhaltung, Inspiration, Selbstvergewisserung, Aha-Erlebnisse zu liefern und dem ein oder anderen ein Lächeln auf’s Gesicht zu zaubern. Wir verzichten nicht gerne auf unsere Königsdisziplin, die Sonderausstellung. Also fiel vor Ostern die Entscheidung, heuer unsere Sonderausstellung vom Rathausfoyer in den auch nicht immer virenfreien Raum des Internets zu verlegen und auf einer eigens geschaffenen Internetseite den Inhalt unseres diesjährigen Ausstellungsprojekts zu zeigen: www.verschwundene-dinge.de.

Diese Entscheidung bedeutet eine (hoffentlich) inspirierende Ausstellung für alle, nicht nur für die Besucher des Rathauses. Jeder weltweit kann nun sehen, was wir gemacht haben. Greifen wir Erwartungen korrekt auf, übersehen wir keine Themen, liefern wir genügend Themen für Gespräche über alle Grenzen hinweg, für Gespräche unter den Fragestellungen „Weißt Du noch?“ „Was war das?“ „Echt jetzt?“ Es sind ja gerade solche Gespräche zwischen den Generationen, in den Zeiten der Seuche natürlich fernmündlich, die unsere Ausstellung anregen will. Ich hoffe, das gelingt uns.

Die Realisierung dieses Projekts war nur möglich durch die Beteiligung meines volkskundlichen Kollegen und langjährigen persönlichen Freundes Dr. Andreas Garitz. Es waren seine Kompetenzen, als Sachvolkskundler und Technikhistoriker ebenso wie als Mediengestalter, die die Idee einer online Ausstellung überhaupt Wirklichkeit werden ließen. Vermutlich mag nur die kleine Bruder- und Schwesternschaft der Museumsleute wirklich zu ermessen, was Du hier geleistet hast. Aber ich bin sicher, viele, viele unserer Besucher werden sich über Dein Werk freuen. Danke, Andreas!. Das was entstanden ist, ist in weiten Teilen Dein Werk!

Diese Ausstellung konnte in der kurzen Zeit, mit dieser Intensität nur außerhalb der üblichen Verfahrenswege eines verwaltungsmäßig eingebundenen Museumsbetriebs entstehen. Dafür, dass wir diesen neuen Weg einschlagen durften, danke ich der Leiterin des Forum Unterschleißheim, Daniela Benker, der das Museum wieder einmal Herzensangelegenheit war.

Mein Dank gilt meinen Mitarbeitern, Diplom-Museologin Anna Strübel, Maximilian Pank, Andi Jirmann, Ludwig Geier, Emil Schwarzer und Johann Kirner, die das Projekt auf vielfältige Weise vor Ort und im Homeoffice, unterstützt haben.

Dem Museumsleiter bleibt nur noch übrig zu sagen: Bienvenue, Welcome, die Ausstellung ist eröffnet!

Grußwort Dr. Andreas Garitz

Eigentlich sollte ich für Dr. Stephan Bachter und das Stadtmuseum in Unterschleißheim nur ein paar Objekte aus meiner Sammlung heraussuchen, mit interessanten Texten versehen und neben anderen Exponaten in die Vitrinen einer Ausstellung mit dem Titel "Verschwundene Dinge" stellen. Doch es kam ganz anders. Das Problem mit Corona begann und die Möglichkeiten, Menschen in begehbare Räume zu bringen und ihnen Objekte in eigener Anschauung vor Augen zu führen, sanken auf Null.

Das war der Moment, in dem mein langjähriger Fachkollege und Freund Dr. Stephan Bachter, mit dem ich nicht nur das ungefähre Alter, sondern auch einen Faibel für Kurioses, längst Ausgemustertes und früher mal Relevantes in Form von "Gerümpel" und "Kleinodien des Alltags" teile, die Idee einer Online-Ausstellung zur Option stellte. Da war ich gerne dabei. Ich hatte bereits Erfahrung mit dem Bau von Websites, hatte für mein "Augsburger Gedönsmuseum" und das "Rekord Café" bereits eine museale, sachkulturelle Datenbank begonnen und freute mich sehr, an so einem Projekt inhaltlich und gestalterisch teilhaben zu dürfen.

Wie das Ergebnis geworden ist, darüber mögen andere urteilen, ich möchte aber vor allem auf den Umstand hinweisen, dass die Seiten, die Sie hier besuchen, in der Zukunft in ständiger Bewegung sein sollen: die Zahl der Exponate soll stetig wachsen, die Texte sollen permanent ergänzt werden und auch Ihre Mithilfe ist gewünscht. Senden Sie doch einfach Vorschläge an uns, was Sie von früher her noch kennen, was für Sie früher einmal wichtig war und heute vergessen ist, was Sie vermissen und gerne nochmal wiedersehen würden. Wir bauen das gerne ein.

Wichtig sind uns vor allem die Lebenswelten, die sich mit den Dingen verbinden. Im Vordergrund stehen hier nicht die technische Aspekte oder die design- und firmengeschichtlichen Entwicklungen von Produkten und Marken, sondern die Erinnerungen, welche die Menschen mit der Sachkultur ihre Vergangenheit verbinden. Schreiben Sie auf, was Sie damals an Ihrem neuen Radio bewegt hat, warum sie Ihr erstes, eigenes Auto besonders fasziniert hat oder wie Ihnen Ihr erste Handy geholfen hat, die Welt um Sie herum neu zu vernetzen.

Ich freue mich, Teil eines großartigen Projektes sein zu dürfen und danke besonders dem geschätzten Fachkollegen und Dozenten Dr. Stephan Bachter, der (wie ich glaube) wie ich noch zur "alten Schule" der historisch-empirischen Volkskunde gehört und mit dem ich viele Ansichten über unser Fach und dessen Forschungsgegenstände teile. Ferner gilt mein Dank rückwirkend der alten, heute so leider nicht mehr existenten "münsteraner Schule" um die Professoren Hinrich Siuts und Günter Wiegelmann, dem großartigen, damaligen Lehrbeauftragten und heutigen Mainzer Professor Michael Simon und auch ganz besonders meinen damaligen Mitstudenten Carsten Vorwig und Heike Lützenkirchen, die heute "hohe Tiere" im Freilichtmuseum Kommern und im Stadtmuseum Euskirchen sind und mit denen ich im Studium viele, viele sachkulturelle Studien und Arbeiten gemeinsam durchführen durfte. Das war meine Welt, bevor ich mich in eine eher unvolkskundliche Selbständigkeit begab. Es ist wunderschön, wieder zurück zu sein. Danke!

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