Wir vermitteln zwischen den Zeiten, den Generationen und den technischen Welten gestern und heute

von Stephan Bachter und Andreas Garitz

In diesen Tagen, an denen wir an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa am 8. Mai 1945 erinnern, verschwindet unsere Welt, die damals, vor 75 Jahren, ihren Anfang genommen hat. Eine Welt, die wir für selbstverständlich gehalten hatten, von der aber die Älteren unter uns noch wissen, dass auch sie sich entwickelt hat, von der harten körperlichen Arbeit zu einer maschinen- und computergestützten Tätigkeit, von der Not zum Wohlstand, von den Restriktionen der Besatzungszeit zu den Freiheiten einer offenen, freien, westlichen Demokratie. Wir, die Babyboomer der 1950er und 1960er Jahren, wissen von der Anfangszeit der nun untergehenden Epoche nur aus Erzählungen. Unsere Welt wurde nur stets immer bunter, freier und vielfältiger, etwa was die Lebensstile und Partnerschaftsmodelle, die Mode, Ernährung oder unsere Reiseziele anbelangte. Nur die wenigen ganz Alten, vor 1945 Geborenen wissen noch aus eigener Erfahrung von Weltwirtschaftskrisen, Kriegen, menschenvernichtender Diktatur und dem Bombenhagel auf die von ihnen bewohnten Städte.

Als das Ausstellungsthema vor rund 18 Monaten Jahren festgelegt wurde, rechnete niemand damit, unter welchen Umständen das Thema gezeigt werden würde. Während eine vertraute Welt verschwindet, zeigen wir in unserer online Ausstellung „Verschwundene Dinge“. Es ist größtenteils Artefakte aus diesen letzten 75 Jahren. Allerdings sind es Dinge, die schon während des zurückliegenden Dreivierteljahrhunderts nicht ununterbrochen präsent waren. Wer zu den jungen und jugendlichen Mitbürgern unserer Gesellschaft Welt gehört, zu den um das Jahr 2000 Geboren, wird vieles von dem, was wir zeigen, aus eigener Anschauung oder Erfahrung, aus eigenem Erlebnis nicht mehr kennen.

Wir sind umgeben von Dingen. Sie erleichtern uns den Alltag, erfreuen uns optisch, technisch und spielerisch, machen Kommunikation möglich, helfen uns bei der Arbeit, verschönern unsere Wohnung und sorgen für unser Wohlbefinden. Wir nutzen sie täglich, ohne uns große Gedanken darüber zu machen. Sie sind einfach da. Ganz so, als ob sie selbstverständlich seien und schon immer da gewesen wären. Nun aber lernen wir: nichts ist selbstverständlich. Nicht die Welt, die wir für „normal“ gehalten hatten und auch nicht die Dinge, die es in dieser Welt gibt und gegeben hat. Auch diese Dinge haben ihre Geschichte, Veränderungen und Brüche. Es gab Vorläufer, Vorgängermodelle und Varianten. Bevor sie modern und bekannt wurden, gab es für das, was sie machten und wofür sie da waren, andere Ideen und technische Lösungen. Manches wurde vor langer Zeit schon erfunden und erlebte seitdem tausend Transformationen, anderes wurde nach einiger Zeit von neueren und besseren Dingen abgelöst, wieder anderes erwies sich gleich als Flop und wurde nie weitergeführt. So mancher Dauerbrenner hat uns bis heute begleitet und so mancher Irrläufer verschwand für immer im Sonder- und Elektromüll der Geschichte.

Unveränderlich waren Dinge nie, es wurde vereinfacht und optimiert, ausgebaut und erweitert, neu erfunden und konstruiert, neu berechnet und dimensioniert, behauen, verschönert und umgekrempelt, ständig verlangten der Modegeschmack und der technische Stand der Zeit, die äußeren Formen und das Innenleben zu novellieren. Was nicht mehr en vogue war oder sich als überholt erwies, verschwand aus dem Alltag und damit auch aus unserer Erinnerung.

 

Doch Dinge sind eben nicht nur leblose Materie, sondern sie sind uns wohlvertraut und haben unser Alltagsleben prägend begleitet. Der erste Kassettenrekorder hat uns dabei geholfen, an der Popmusik teilzuhaben und uns unsere ganz persönliche Sammlung an Musik anzulegen. Unser erstes Moped hat uns neue Welten erschlossen und den Weg in die Disco finden lassen, die erste Mode- oder Musikzeitschrift hat uns beigebracht, mit der Zeit zu gehen und Bescheid zu wissen über das was "in" ist, wo man hingeht und wie das andere Geschlecht so funktioniert. Bis heute lieben wir unseren ersten Teddy, erinnern uns an die erste Armbanduhr, die wir zur Kommunion bekamen, schwärmen von unserem knallorangen Opel Kadett aus der Hippiezeit und huldigen unserem alten C64 aus den frühen 80ern.

Zu vielen Dingen hatten wir eine ganz besondere Beziehung und selbst wenn wir sie mittlerweile völlig vergessen haben, so lösen sie doch noch immer emotionale Reaktionen aus, wenn wir sie plötzlich irgendwo wiedersehen. Das ist nicht nur Nostalgie und rückwärtsgewandtes Retrodenken, sondern mit einer umfänglichen Erinnerung daran verbunden, wer wir früher einmal waren und was wir erlebt haben. Mit der Erinnerung an das Ding kommt die Erinnerung an uns selbst und an die Stationen unseres Lebens.

Umso wichtiger erscheint es, diese Dinge, das was sie ausmachte und was sie für uns bedeuteten zu dokumentieren und der Nachwelt zu erhalten. Das verlangt danach, sie nicht nur rein haptisch, optisch, technisch und zeitlich zu erfassen, sondern ihr ganzes Umfeld zu durchleuchten und auch die persönlichen Geschichten zu erzählen, die sich mit ihnen verbanden. Es ist wichtig, wie sie den Alltag vieler Menschen prägten, wie sie ihnen halfen, wie, wo und wann sie benutzt wurden, was an ihnen neu, gut und brauchbar war und welche Mängel sie manchmal hatten, über die wir heute schmunzeln.

Welten, Kulturen und Lebensstile verschwinden. Was davon bleibt, sind, die Dinge. Dinge verabschieden sich nämlich nur aus dem Alltag und dem Gebrauch, aber sie bleiben da, in Kisten, Kellern und auf Dachböden, in verborgenen Winkeln unter der Erde. Und in Museumsdepots!

In diesem Sinne: lasst uns die Dinge sammeln und mit ihnen die Geschichten, die zu ihnen gehören! Lasst uns die Dinge sammeln! In ihnen bleiben Welten, auch die, die gerade verschwindet, erhalten!

Das gehört in ein Museum

Indiana Jones

 

 

 

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